Er ist der große Solitär in der Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts:
Anton Bruckners Sinfonien sind so ganz anders, sind ebenso eigenwillig [eigenzinnig] wie überwältigend. Sie wirken wie herabgestürzt auf die Erde, scheinen keine Vorbilder zu haben und keine Nachfolger – trotz der Verehrung durch Gustav Mahler.
Am Anfang eigentlich jeder der neun Sinfonien Anton Bruckners – es gibt auch noch eine Nullte und eine sogenannte Doppel-Nullte, die der Komponist aber nicht als vollgültig anerkannt hat – steht der berühmte Ur-Nebel [oernevel].
Eher diffuse Streicher-Klänge formen sich erst nach und nach zu Musik, mitunter setzt dann über diesem Nebel gleichsam schwebend das erste Thema ein, dass dann wie im Falle der siebten Sinfonie majestätische Ausmaße annehmen kann.
Jedenfalls viel umfangreicher ist als zum Beispiel die berühmten vier Schläge in Beethovens Fünfter. Oder auch das geradezu asketisch sparsame Thema in der vierten Sinfonie von Johannes Brahms, in dem die Zeitgenossen den großen Rivalen und Antipoden Bruckners sahen.
Es gibt ein berühmtes Vorbild für diese Art Anfang:
Der Beginn des Vorspiels zu Richard Wagners „Rheingold“, dem Vorabend zur Trilogie „Der Ring des Nibelungen“.
Anton Bruckner war ein glühender Anhänger des Bayreuther Meisters, baute immer wieder Zitate Wagners ein, die Nachricht von dessen Tod animierte ihn zu einem ergreifenden Trauermarsch in der bereits erwähnten Siebten. Gerade diese Nähe zu Wagner wurde Bruckner aber von einem Teil der musikalischen Öffentlichkeit, angeführt vom berüchtigten Wiener Musikkritiker Eduard Hanslick, verübelt.
In Wagners „Rheingold“-Vorspiel setzt dann irgendwann ein Es-Dur-Akkord ein, der immer und immer wieder wiederholt wird. Es ist dies einerseits der majestätisch dahinströmende Rhein, der hier musikalisch bebildert wird, es ist aber noch viel mehr:
Die aufeinander geschichteten Akkorde sind eine Art Schöpfungsakt. Wir sind mit den Ohren Zeugen einer Weltentstehung. Eine neue, eine eigene Welt. Wagner errichtet den Nibelungen-Mythos, und ganz nebenbei auch den eigenen, den Mythos Wagner.
Dergleichen wäre Anton Bruckner nie in den Sinn gekommen.
Aber auch bei ihm gibt es eine Art Schöpfungsplan.
Seine Sinfonien sind – hier zeigt sich der brillante Organist Bruckner – auch als Klang-Kathedralen bezeichnet worden, ihr Schöpfer als Musikant Gottes, der auch großartige Kirchenmusik geschrieben hat.
Und in der Tat folgen sie einem immer wieder angewandten Plan – von der ersten bis zur unvollendet gebliebenen neunten Sinfonie –, der auch als klingendes Glaubensbekenntnis verstanden werden kann.
Sie sind Gotteslob im wahrsten Sinne des Wortes und doch zugleich auch absolute Musik. Sie überwältigen nämlich auch jene Zuhörer, die vielleicht gar nicht an Gott glauben.
Am großartigsten wird dieser Plan vielleicht in der nicht so häufig gespielten Fünften umgesetzt, in der Bruckner auch bewusst zurückgreift auf Kompositionstechniken aus dem Barock, indem er nachweist, dass er auch Fugen komponieren kann. Das Finale fasst dann das gesamte Material der Sinfonie zusammen und führt das Werk zu einem Höhepunkt – zu einer Apotheose.
Bruckner stammte aus ärmsten Verhältnissen.
Wurde 1824 als erstes von zwölf Kindern geboren.
Musikalisch ausgebildet unter anderem im Stift St. Florian bei Linz. Er arbeitete als Dorfschullehrer, wurde später Organist in Linz und ging dann nach Wien, wo er am Konservatorium Komposition unterrichtete.
Seine letzte Sinfonie widmete er dem lieben Gott.
Als er am 11. Oktober 1896 starb, existierten nur die ersten drei Sätze und Skizzen zum Finale.
Auf seinen Durchbruch musste Anton Bruckner lange warten.
Was sehr viel mit dem bereits erwähnten Eduard Hanslick zu tun hatte, der als eine Art Marcel Reich-Ranicki der Musikkritik wahrhaft vernichtende Urteile fällen konnte.
Hanslick ist jener bisweilen geniale, bisweilen bitterböse Rezensent, der beispielsweise zu Tschaikowskys Violinkonzert meinte, das Werk bringe „uns auf die schauerliche [afschuwelijke] Idee, ob es nicht auch Musikstücke geben könnte, die man stinken hört“.
Und nach der Uraufführung von Mahlers erster Sinfonie – immerhin eines der heute am häufigsten in Konzerten gespielten Werke – stellte Hanslick lakonisch fest: „Einer von uns beiden muß verrückt sein – ich bin es nicht!“
Über Bruckners Achte urteilte er: „Es ist nicht unmöglich, dass diesem traumverwirrten Katzenjammerstil die Zukunft gehört, – eine Zukunft, die wir nicht darum beneiden.“
Die Musikgeschichte jedoch hat gezeigt...
wie unrecht Hanslick hatte.
Die groß besetzten und in ihrer zeitlichen Ausdehnung über alles, was vor ihnen war, hinausgehenden Sinfonien Bruckners sind heute Standard-Repertoire.
Auch dieser Plan Bruckners ging schließlich auf.
Geen opmerkingen:
Een reactie posten